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30. September 2023: früh & reif

30. September 2023 - früh & reif

 

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847): Magnificat in D (1822)

Franz Schubert (1797-1828): Messe in Es, D 950 (1828)

 

Felix_Mendelssohn_Bartholdy.png

Der Frühe: Felix Mendelssohn Bartholdy, der mit 13 Jahren sein „Magnificat“ schrieb – Sie haben richtig gelesen, mit dreizehn Jahren! 1819, drei Jahre vor dieser Komposition, hatte Mendelssohn mit dem Kompositionsunterricht begonnen, und zwar bei Carl Friedrich Zelter, dem Berliner Musiker und Goethe-Intimus, dessen Lehrtradition noch auf Johann Sebastian Bach zurückging. Mendelssohns Begeisterung für Bachs Werke, und der Anreiz, sich intensiv mit ihnen zu beschäftigen, rührte hierher.

Interessanterweise sind alle Studienwerke Mendelssohns mitsamt den zahlreichen Anmerkungen Zelters erhalten. In den Kompositions-übungen der ersten drei Jahre verbessert Zelter nicht nur einzelne Noten oder ändert die Textunterlegung, sondern greift häufig auch in die Gesamtstruktur ein und formuliert beispielsweise ein Fugenthema neu – worauf Mendelssohn ganze Sätze neu komponierte. Nicht so im „Magnificat“ des Jahres 1822: Der Rotstift des Lehrers ist angesichts der unfassbar schnellen Fortschritte des Schülers versiegt, obwohl es sich bei dem Werk um einen Erstversuch Mendelssohns auf dem Gebiet der Kirchenmusik handelt, noch dazu in Form einer mehrteiligen Kantate mit Chor- und Solosätzen unter Hinzunahme eines grossen Orchesterapparats!

Wenn auch das „Magnificat“ offenbart, wie Mendelssohn seinen barocken und klassischen Vorbildern nacheifert ohne spürbare Ambition auf einen eigenen Stil, so gibt es doch an dem frühreifen Konmponisten in Sachen Geschmack und wirkungsvoller Konstruktion nichts mehr zu verbessern.

 

Franz_Schubert.pngDer Reife: Franz Schubert, welcher die „Es-Dur“-Messe in seinem letzten Lebensjahr schrieb – und starb, ohne sie jemals gehört zu haben. Die Uraufführung fand erst ein Jahr nach seinem Tod am 4. Oktober 1829 in der Alserkirche bei Wien statt.

Der damals im Aufbau befindliche „Verein zur Pflege der Kirchenmusik der Kirchgemeinde Alsergrund“ wäre wohl nie in einer Programm-einführung erschienen, hätte er nicht im Frühling 1828 den Auftrag zu einer der reifsten Leistungen unter den Messkompositionen gegeben. Ferdinand Schubert – der Dirigent der Uraufführung – berichtete, dass sein Bruder „unablässig an einer grossen Messe schreibe“ und beurteilte diese als „gewiss eines seiner tiefsten und vollendetsten Werke“. Auch der Rezensent von der „Wiener allgemeinen Theaterzeitung“ meinte in der Rezension der Uraufführung: „Mit Recht muss man das ganze Werk wahrhaft grossartig nennen, und die Verbreitung desselben jedem wahren Freund echter erhebender Kirchenmusik, und allen Verehrern des unvergess-lichen Komponisten dringend ans Herz legen.“

Damit war aber schon genug der positiven Beurteilung. Bei jeder weiteren Aufführung mehrten sich die Stimmen, die Schuberts Messe ablehnten. „Unbrauchbar“ sei sie – und ist sie bis heute de facto noch dafür, wofür sie in Auftrag gegeben wurde: für den liturgischen Gebrauch. Eine Messe nicht im Gottesdienst, sondern konzertant darzubieten, dafür war damals die Zeit noch nicht reif. Sie wurde es erst in der Spätromantik: Auf Initiative von Johannes Brahms, der selber den Klavierauszug erstellte, wurde diese „Zukunftsmusik“ im Jahre 1865 in Druck gegeben, 37 Jahre nach dem Tod des erst 31-jährigen, frühreifen Komponisten.